Todesmärsche und Befreiung der Konzentrationslager

Im Sommer 1944 beginnt die SS, frontnahe Lager zu räumen und zehntausende Häftlinge in andere Lager zu verlegen. Die Transporte erfolgen in überfüllten Viehwaggons, offenen Güterwagen oder zu Fuß. Sie dauern teilweise mehrere Wochen. Mindestens 140.000 Menschen sterben bis Kriegsende aufgrund von Kälte, Hunger oder Entkräftung während dieser Todesmärsche. Häftlinge, die nicht mehr lauffähig sind oder flüchten, werden von der SS erschossen. Manche der Züge geraten zufällig unter Beschuss alliierter Kampfflieger oder bleiben auf der Strecke liegen. Einzelne Todesmärsche – wie im ostpreußischen Palmnicken oder im brandenburgischen Jamlitz – enden in einem Massaker. Als die alliierten Befreier im Frühjahr 1945 eintreffen, bieten sich ihnen schockierende Bilder: In den teils völlig überfüllten Lagern sind die Häftlinge – häufig nur noch »lebende Leichname« – nach der Flucht der Wachmannschaften sich selbst überlassen. Die Versorgung ist zusammengebrochen, Epidemien breiten sich aus. Viele Befreite überleben die ersten Tage nicht. Sie sterben an Krankheiten, Unterernährung oder weil sie nach Jahren des Hungerns die plötzliche Nahrungsaufnahme nicht vertragen.

München-Allach, Rüstungsproduktion der Firma »BMW«, 30. April 1945: Häftlinge des Außenlagers des KZ Dachau am Tag ihrer Befreiung durch die US-Armee.

National Archives and Records Administration, Washington D. C., 111-SC-207745

Majdanek bei Lublin, 23. Juli 1944: Es ist das erste Konzentrations- und Vernichtungslager, das die Rote Armee auf polnischem Boden befreit. Soldaten finden Berge von Schuhen ermordeter Häftlinge vor. Schätzungen gehen von etwa 78.000 Opfern für dieses Lager aus.

Archiwum Akt Nowych, Fotograf: Michail Trachman, D-5910

Gardelegen, 1945: Im April treffen hier Todesmärsche von Häftlingen aus mehreren Konzentrationslagern ein. Am 13. April werden etwa 1.000 Gefangene in eine Scheune getrieben. Der 18-jährige Edward Antoniak sagt zwei Tage später aus: »Der Boden war mit benzingetränktem Stroh bedeckt. Um 18.00 Uhr wurde das Stroh in Brand gesteckt. Diejenigen, die versuchten, aus dem Gebäude zu kommen, wurden erschossen und andere Flüchtlinge durch Handgranaten zerfetzt.« Nach dem Einmarsch der Amerikaner müssen männliche Einwohner über 16 Jahren die Toten mit bloßen Händen bergen und auf einem neu angelegten Friedhof begraben.

bpk, 30015815

Percha am Starnberger See, 28. April 1945: Kolonne von etwa 500 Häftlingen aus einem Außenkommando des Konzentrationslagers Dachau auf dem Todesmarsch in Richtung Alpen.

Benno M. Gantner

Neustadt in Holstein, 3. Mai 1945: Die SS nutzt drei Schiffe in der Lübecker Bucht – wie die »Cap Arcona« – als Konzentrationslager für Häftlinge aus mehreren Evakuierungstransporten. Als britische Kampfflugzeuge sie irrtümlich beschießen, kommen etwa 8.000 Menschen aus 24 Nationen zu Tode.

Imperial War Museum, London, CR 227

Bergen-Belsen, nach dem 15. April 1945: Auf dem Gelände des befreiten Lagers liegen Tausende verwesende Leichen, die britische Soldaten in Massengräbern bestatten, um den Ausbruch von Seuchen zu bekämpfen. Die meisten der 60.000 noch lebenden Häftlinge sind schwer krank oder dem Erschöpfungstod nahe.

Imperial War Museum, London, BU 3766